Rezeptsammlung Drinks - Rezept-Nr. 912

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Elixir Benedictin, Eine Kurzgeschichte

( 4 Portionen )

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Zubereitung

Etwas Geheimnisvolles, viel Geschick und ein Hauch von Masslosigkeit standen am Beginn des international bekanntesten Likörs.
 
Wenn eines Tages die Geschichte der alkoholischen Getränke geschrieben wird, werden die Klöster sicher eine Hauptrolle spielen: Nirgendwo sonst sassen in den vergangenen Jahrhunderten derart viele kreative Schluckspechte, die sich mit Musse der Verfeinerung anregender Genüsse widmen konnten. Die Benediktiner dürften unter den Orden zweifellos eine Spitzenposition einnehmen.
 
In der Abtei Hautvillers hat der Benediktinermönch Dom Perignon den Champagner zu einer Qualität entwickelt, die wir noch heute schätzen. In der Abtei Fecamp in der Normandie mixte der Mönch Dom Bernardo Vincelli im Jahre 1510 aus 27 Kräutern und Gewürzen einen Likör, der gegen alle möglichen Leiden des Körpers und der Seele helfen sollte.
 
Vincelli nannte sein Gebräu Elixir Benedictin und machte seinem Orden damit alle Ehre: Über 250 Jahre lang verkaufte sich das berauschende Heilmittel mit wachsendem Erfolg. Als die Abtei während der Französischen Revolution gebrandschatzt wurde, ging es mitsamt dem Originalrezept unter. Doch 1863 kommt die wundersame Auferstehung des verlorengeglaubten Wundertropfens: Alexandre Le Grand, ein Weinhändler in Fecamp, findet das Rezept in einem geerbten Buch und versucht, daraus erneut einen Kräuterlikör zu komponieren. Nach einem Jahr des Experimentierens (und wohl auch Modernisierens) kommt der berühmte Gesundheitstrank zwei Jahre später in Frankreich wieder auf den Markt. Von der Heilwirkung ist nicht mehr die Rede, um so mehr von seinem köstlichen Geschmack und der ehrwürdigen Tradition: Als Likör der Benediktinermönche der alten Abtei in Fecamp wirbt Le Grand für seine würzige Kräutermischung, die er Benedictine nennt. Dem besten, grössten Gott (Deo Optimo Maximo ~ auf jeder Flasche als D.O.M wiedergegeben) ist er gewidmet.
 
Alexandre Le Grand erweist sich als eines der frühen Marketinggenies des 19. Jahrhunderts. Er erfindet für seinen Likör die charakteristische bauchige Flasche, die so berühmt werden wird wie die des Champagners Dom Perignon; er gibt Plakate und Poster bei den bekanntesten Künstlern der Zeit in Auftrag und lässt Werbematerialien verteilen: Fächer, Toilettenaccessoires, Aschenbecher und Streichholzhalter.
 
Ob wegen der Werbung oder der Qualität: Benedictine wird vom ersten Tag an ein grosser Erfolg - und fortan kopiert. Le Grand meldet in mehreren Ländern Patente an. Viel scheinen sie aber nicht genützt zu haben: Im Musee Benedictine in Fecamp können die Besucher über 600 Fälschungen aus aller Welt besichtigen. Das Museum ist in einem Bau untergebracht, den Le Grand schon früh in Auftrag gab: in der Palast-Fabrik von Benedictine, einem romantischen Traumschloss wie aus einem Walt-Disney-Film, das heute eine vielbesuchte Touristenattraktion ist.
 
Die Geheimniskrämerei um die exakte Rezeptur und die Verarbeitung des Benedictine wird dem Endprodukt in gewisser Weise gerecht. Denn wäre nicht ein Hauch von Zauberei dabei, könnte man die gesamte Kunst des Likörherstellers als naturwissenschaftliches, streng rationales Herstellungsverfahren begreifen. Doch die alchimistische Tradition (die sich als Geheimwissenschaft verstand) spielt eine entscheidende Rolle. Der magische Trank ist das Ergebnis langer Bemühungen, für das Intuition und lückenlose Kenntnis von Ingredienzen und Verfahrensweisen gleichermassen bedeutsam sind. Die Natur liefert lediglich die Zutaten, doch es bleibt dem Genie des Menschen überlassen, diese zu nutzen und Unterschiede herauszufinden.
 
In Amerika, wohin die Mehrzahl der fünf Millionen Flaschen (Jahresproduktion) gelangt, erfand 1937 ein Barmann aus Manhattan den B&B, eine Mischung aus Benedictine und Brandy, der in der Neuen Welt Furore machte. Selbst Bargänger, die gewöhnlich keinen Likör bestellen, haben Benedictine schon oft genossen: Er gehört in über ein Dutzend beliebter Mixgetränke, von Singapore Sling bis Frisco Sour, und krönt sie mit seinem himmlisch-würzigen Touch.
 
,AT Rene
:Erfasser : TAMKAT
:Datum : 19.10.2004

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